Alles begann wegen 30 Pfennig
Ein Bericht von Andre` Bethke
Weilburg: Es ging damals um 30 Pfennig.“ Ich hab`se ganz fürchterlich gefasst“, erinnert sich Hermann Schmidt. Der Kontrahent , der im ehemaligen Jugendzentrum im alten Rathaus auf den Schüler einschlug. Schmidt hat den Namen nicht vergessen. Revanchiert hat sich der heute 56- Jährige nie, auch wenn er aus einer Neuauflage der Keilerei als Sieger hervorgehen würde. Doch Karate ist keine auf Angriff angelegte Kampfsportart. Sie dient vielmehr der Verteidigung. Und verteidigen können wollte sich Hermann Schmidt nach dieser prägenden Erfahrung. Deshalb fand er mit 16 Jahren den Weg zur asiatischen Kampfkunst. 40 Jahre später zählt der Junge von damals zu bundesweit 198 und hessenweit nur zehn Trägern des 6. Dan, einem von zehn Meistergraden. Die Prüfung legte Schmidt nun bei einer Komission um Bernd Millner, Träger des 9. Dan, ab. Rückblende: Als der heute in Ahausen lebende Familienvater 1978 , dem Jahr als er seine Frau Ute kennenlernte und ins Berufsleben einstieg, mit dem Karatesport begann, gab es seit acht Jahren das von Hermann Glücker gegründete Dojo. Dieser Begriff bezeichnet einen Trainingsraum für japanische Kampfkünste und steht im übertragenen Sinne für die Gemeinschaft der dort Übenden. Schmidt erinnert sich: „Wir haben damals mit 70 Leuten begonnen. Das Training unter Clemens Klein war so hart,dass wir nach ein paar Wochen nur noch 30 waren.“ Für ihn war Aufgeben keine Option. was auch daran lag, das Hermann Schmidt in seiner Jugend durch das Ausprobieren vieler Sportarten wie Fußball, Handball, Schwimmen, Leichtathletik, Tauchen und Rudern recht fit war und vor allem Ausdauer besaß.
Was der Weilburger aber auch schon immer besaß war Ehrgeiz. Im Beruf und im Sport. Obwohl der Dachdeckermeister schon seit 1990 selbstständig ist und in Frankfurt einen 25-köpfigen Betrieb führt, hielt ihn das nicht davon ab, sich in seinem Sport weiterzubilden. Als Aktiver, aber auch als Trainer. Den 1. Dan hatte er schon 1985 abgelegt,der zweite folgte acht Jahre später. Da hatte Hermann Schmidt bereits die Leitung des dem TV Weilburg angegliederten Dojo übernommen und eine Ausbildung zum Übungsleiter absolviert. Dabei blieb es nicht: Schmidt legte seine Prüferlizenz ab und beglückwünschte über 2.000 Prüflingen bei ihren Prüfungen, erwarb den Trainer B-Schein, engagierte sich auf Verbandsebene und arbeitete sich in der Dan – Hierachie weiter nach oben. „Ich hatte mir mal vorgenommen, dass ich zu meinem 50. Geburtstag den 5. Dan trage“, erzählt der Kampfsportler. Weil zu seinen Tugenden auch Zielstrebigkeit gehört, gelang ihm trotz der beruflichen Belastung diese Punktlandung. Neben dem eigenen sportlichen Werdegang war es Hermann Schmidt stets ein Anliegen, auch seine Mitmenschen für sein Hobby zu begeistern. „Karate lehrt dir alles, was du fürs Leben brauchst: Disziplin, Respekt, Durchhaltevermögen .“ Dies gelang ihm nicht nur bei seiner Familie – Sohn Hannes trägt den 2. Dan, Marius den 1, Kyu und Frau Ute den 4. Kyu-, sondern vor allem beim Nachwuchs. Sein Antrieb: „Ich will Menschen zum Sport bewegen und begeistern, will gemeinsam mit ihnen brennen, sie begleiten und selbst dabei lernen. Gerade das Kindertraining ist immer wieder ein besonderes Erlebnis. Der Blick in diese Augen ist mein Antrieb“ schwärmt Schmidt, desen Dojo 48 Jahre nach seiner Gründung 170 Kampfsportler aller Altersklassen vereint. Sein eigener sportlicher Antrieb, die Anforderungen für den 6. Dan abzulegen, war es nun, „mich selbst für das jahrelange Training zu belohnen“. Zwölf Monate lang hat sich Schmidt, der nach über zehn Jahren als 2. Vorsitzender des TV Weilburg 2014 an die Spitze des 1000 Mitglieder starken Vereins rückte, nach der vorgeschriebenen Wartezeit von fünf Jahren zwischen zwei Danprüfungen auf die Herausforderung vorbereitete. Er besuchte Lehrgänge und trainierte jede Woche zwei- drei Mal nach der Arbeit bei Bundestrainer Efthimios Karamitsos. Dann kam der Tag der Prüfung an. “ Ich war verdammt aufgeregt“, erzählt der Obermeister der Dachdeckerinnung Frankfurt. Die Aufregung verflog, die Konzentration gewann die Oberhand. Nach dreieinhalb Stunden Schweiß mit den von den Prüfern vorgegebenen Grundtechniken, zwei Kata, dem Kampf gegen vier imaginären Gegner und einem Freikampf als Adrenalin geschwängertem Höhepunkt der Prüfung gegen einen anderen Anwärter hatte Schmidt es geschafft. Zu verdanken hat er diese sportliche Leistung – neben der Unterstützung durch seine Frau- seiner Disziplin, seinem Durchhaltevermögen und seinem Trainingsfleiß. Aber auch einem größeren Jungen, von dem Hermann Schmidt sie vor über 40 Jahren wegen 30 Pfennig fürchterlich gefasst hat.